Küsschen und Sekt bei der Schleppjagd auf dem Gut Warxbüttel
SCHWÜLPER. Jagdhörner erklingen auf dem Gutshof Warxbüttel bei Schwülper, Kreis Gifhorn. Stelldichein für 61 Reiter, 23 Hunde und rund 300 Zuschauer.
Hundegebell bahnt sich den Weg, durchschneidet die Stille im Wald. Eichen, Buchen und Birken in den Katzenbergen bei Didderse sind goldgelb gefärbt. Hin und wieder schiebt sich die Sonne durch das Novembergrau.
Das Gebell wird lauter, klingt fest entschlossen. Dann preschen die Hunde ums Eck, auf die Wiese. Einer, zwei, vier, immer mehr. In vollem Tempo. 23 Hunde, als wären sie der Wildsau auf der Spur, haben nichts anderes im Sinn, als der Fährte zu folgen – sie führt sie vom Gut Warxbüttel in Richtung Okeraue fast bis Hillerse, durch die Felder bei Rolfsbüttel, über Wiesen bei Adenbüttel.
Bei dieser Herbstjagd stirbt kein Wild
Nur führt sie nicht zur Wildsau. Die gibt es nämlich gar nicht. Bei dieser Herbstjagd stirbt kein Wild, fällt kein einziger Schuss. Die Hunde folgen einer Spur aus Anislösung, gelegt von zwei Reiterinnen. Anne Henne und Katrin Badenhop-Klatte. Diese Jagd ist eine Schleppjagd.
Die Niedersachsen-Meute ist unterwegs. 23 Foxhounds, kniehohe, agile Jagdhunde, meist braun-schwarz gefleckt, oft weiß an Brust und Beinen. Keine Hunde für die enge Stadtwohnung, schon gar nicht für Anfänger. Sie sind freundlich im Charakter, haben ein feines Wesen, aber eben einen ausgeprägten Beutetrieb.
Max Sponagel weiß das nur allzu gut, er kennt seine Meute, kennt jeden Hund beim Namen. Aufgewachsen auf dem Reiterhof Sponagel in Oelerse, Kreis Peine, ist er mit Foxhounds groß geworden. Und natürlich mit Pferden. Er ist der Master, trägt einen roten Jagdrock mit weißer Armbinde, ein Reitfrack, darüber eine Schutzweste.
Der Master und die drei Pikeure
Der 38-Jährige gibt die Schleppjagd frei, führt das Reiterfeld an, führt die Hunde, ruft sie mit seinem kleinen Huntinghorn zusammen, hilft, wenn sie mal auf der falschen Fährte sind. Doch mit Vigo, dem Kopfhund der Meute, passiert das selten. „Er ist immer sehr sicher, schnell auf der Fährte und gibt Laut, so dass er den Rest der Meute sicher zum Schleppenende führt“ erzählt der Master.
Sponagel reitet einen Holsteiner: Hot Legs. Der Name passt. „Gute Jagd“ ruft er den Reiterinnen und Reitern zu, „Gute Jagd“ schallt es zurück. Dem Master zur Seite stehen drei Pikeure. An diesem Sonntag sind es Madeleine Wätjen aus Halchter, Kreis Wolfenbüttel, Cathrin Westendorff und Elke Martsch. Sie helfen, die Hunde zu führen, halten die Meute zusammen, kümmern sich um die Ausreißer.
244 Hufe donnern über den Heideboden
Los geht’s im Galopp. 61 Pferde, 244 Hufe donnern über den Heideboden. Der Hundemeute hinterher. Auf einer Wiese die ersten Hindernisse, Baumstämme. Der Atem schnellt hoch, der Puls steigt. Die Reiter fliegen darüber.
Tilmann Sachs liebt dieses Gefühl, fast „ wie ein Schweben durch eine wunderschöne Natur“, sagt er. Dazu das besondere Zusammengehörigkeitsgefühl von Hunden, Pferden und Reitern. „Diese wunderbare Harmonie ist der Kern des Jagdreitens, schwärmt er. Auch die Aufregung gehört dazu, das Adrenalin. „Das ist ein Gefühl, das man sonst nur ganz, ganz selten haben kann im Sport.“
Die Reiter preschen über die Wiese, biegen ab, verschwinden im Wald, folgen der Niedersachsenmeute, dem Bellen der Hunde. Knapp 20 Kilometer durch den Wald, über Wiesen, Felder, querfeldein.
Gleich hinter der Equipage, dem Master und den Pikeuren reitet Silke Brebeck aus Hamburg. Mit ihrem selbst gezogenen achtjährigen Hannoveraner Wallach Magic Moods. Sie führt die springende Abteilung an, trägt für alle erkennbar eine grüne Armbinde – und eine Helmkamera.
Irgendwo mittendrin reitet Mechthild von Lucke. Sie ist die Jagdherrin, trägt einen grünen Jagdrock mit weiß-schwarz-weißer Armbinde. Sie reitet eine fünfjährige Hannoveraner Stute, mit roter Schleife am Schweif. Das heißt: Vorsicht, Pferd schlägt aus. Von Lucke hat die Schleppjagd für den Reit- und Fahrverein Papenteich organisiert. Auch sie ist passionierte Jagdreiterin, ist mit 18 erstmals eine Schleppjagd geritten. „Recht spät, normalerweise gibt’s schon am Führzügel den ersten Kontakt zur Meute“, sagt sie schmunzelnd.
Das Wohl der Tiere steht ganz oben
Eigentlich sollte ihr Sohn Philipp das erste Feld der springenden Abteilung führen. Doch sein Pferd lahmt, darf nicht geritten werden. Das ist reiterliches Selbstverständnis. Überhaupt ist Rücksichtnahme oberstes Gebot. Zwischen den einzelnen Schleppen warnt Mechthild von Lucke die Reiter vor dem nächsten Teilstück, eine Wiese mit tückischen Bodenwellen. Das Wohl der Tiere steht ganz oben. „Das ist das Wichtigste“, sagt sie, „dass alle Hunde, Pferde und Reiter heil und fröhlich ankommen.“
Deshalb werden während der Schleppjagd immer wieder Pausen gemacht, damit Pferde und Hunde verschnaufen können, Kräfte sammeln. Und die Reiter auch. In der Okeraue bei Hillerse trifft die Meute auf die Jagdgäste. Mit Treckergespannen sind sie vorausgefahren, 13 Anhänger. Auch das gehört zur Schleppjagd.
Zum ersten Mal dabei ist Dorothea Kohrs aus Meine: „Es ist ein besonderes Erlebnis.“ Sie hat ihre Enkeltöchter dabei. Jella (10) und Jannike (8). „Ich finde es sehr, sehr schön. In Berlin gibt es das halt nicht. Toll, dass Oma und Opa hier wohnen“, freut sich Jella. Sie sitzen auf Strohballen auf dem Treckeranhänger, juchzen bei jeder Kurve, haben Spaß. So wie die anderen etwa 300 Gäste auch.
Lagerfeuer und Sekt zum Abschluss
Die Fahrt geht zurück Richtung Gut Warxbüttel. Auf einer Wiese lodert ein Lagerfeuer, ein kleiner Tisch mit Sektgläsern steht bereit. Hermann Niebuhr wartet mit der Bläsergruppe des Hegerings Schwülper. Aus der Ferne ist das Hundegebell zu hören. Die Meute kommt über das kurze Gras geflogen, dahinter der Master, die Pikeure, die Reiter. Durchatmen. Alle sind wohlauf. Entspannung in den verschwitzten Gesichtern. Sie loben ihre Pferde, streichen über die Mähne, den Hals.
Zeit für das Halali. Die Reiter streifen den rechten Handschuh ab, schütteln sich die Hände, beglückwünschen sich zur erfolgreichen Jagd. Der Master übernimmt die Regie, lässt absitzen. Die Bläsergruppe stimmt das „Halali“ an.
Jeder bekommt einen Bruch
Die Jagdherrin verteilt den Bruch an die Reiter. Ein kleiner Fichtenzweig, Jagdtradition eben. Dazu gibt es ein Gläschen Sekt, Küsschen und Umarmungen, herzliche Worte, fast familiär. Nicht nur fast. „Jagdreiten ist eine Passion, wahnsinnig familiär geprägt“, sagt Mechthild von Lucke. „Es ist kein Wettbewerb, es gibt keinen Sieger.“ Alle haben gewonnen .
Glücklich und zufrieden ist auch Silke Brebeck. „Es war total schön, total gut“, erzählt sie und freut sich vor allem, weil ihr recht junges Pferd erstmals von Anfang bis Ende im springenden Feld geritten ist.
Noch einmal der Master. Er dankt Hunden, Pferden und Reitern. „Halali, Halali“ ruft Max Sponagel ihnen zu. „Halali, Halali“ schallt es von den Reitern zurück. Ein letztes Mal an diesem Tag stehen die Hunde im Mittelpunkt. Jetzt bekommen sie ihr Dankeschön. Das Curée.
Belohnung für die Niedersachsen-Meute
Im großen Halbkreis versammeln sich die Reiter mit ihren Pferden. Die Equipage, der Master und die Pikeure, halten die 23 Foxhounds noch zurück. Dann ein Handzeichen. 23 Hunde stürmen los, diesmal nur ein paar Meter, bis zum Rinderpansen, um den sie sich balgen. Verdiente Belohnung für die Niedersachsen-Meute, letztes Signal der Bläser: „Jagd vorbei“.
Fast. In der Reithalle wartet auf Reiter und Gäste das Jagdessen. Und die Jagdkritik. Sie fällt gut aus. Für Jule Petersen aus Meine und Joane Methner aus Warxbüttel, beide 12 Jahre alt, wird sie unvergesslich. Die beiden sind ihre erste Schleppjagd geritten, sind stolz wie Oskar und müssen nach vorn kommen. Vor der ganzen Gesellschaft werden sie mit Schleppflüssigkeit beträufelt. Anisgeruch macht sich breit. Dafür gibt’s für die beiden einen Meutebecher als Andenken und Aufmunterung, noch viele Meutejagden zu reiten. So sind sie, die Jagdreiter, eine fröhliche, familiäre Meute!
Quelle: www.braunschweiger-zeitung.de